Tierversuche - unsere Beschwerde an die EU-Kommission

Tierversuche - Unsere Beschwerde an die EU Kommission


Europäische Kommission
Generalsekretär
B-1049 Brüssel
Belgien

1.Fragen an die Kommission betr. RL 2010/63 EU

2. Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland und andere Mitgliedsstaaten betr. RL 2010/63 EU

Sehr geehrter Generalsekretär Selmayr,
sehr geehrte Abgeordnete der Europäischen Kommission,

am 3. März 2015 reichte die Europäische Bürgerinitiative "Stop Vivisection" bei der Europäischen Kommission 1.173.131 zertifizierte Signaturen ein, gesammelt in allen Mitgliedstaaten der EU, um den Ausstieg eines veralteten (und sogar gefährlichen) Verfahren der biomedizinischen Forschung zu bewirken: „Tierversuche“.

Die Europäische Union lehnte nach einer Anhörung von Vertretern der BI und weiteren wissenschaftlichen Kommentatoren die Forderungen der BI „ Stop Vivisection“ ab. Auch wir als Petenten der Petition 1833/2013, eingereicht von Gisela Urban und Gabriele Menzel, deutscher Staatsangehörigkeit, im Namen mehrerer Tierschutzverbände, unterzeichnet von 7724 Personen, zu Tierversuchen und der REACH-Verordnung erhielten den gleichen ablehnenden Bescheid vom 3.6.2015 wie die BI „Stop Vivisection“.

Sie schrieben:

„Fortbestehende Notwendigkeit der Richtlinie 2010/63/EU
Die Richtlinie ist notwendig, um ein hohes Schutzniveau für Tiere gemäß Artikel 13 AEUV zu gewährleisten. Ein Außerkraftsetzen der Richtlinie wird den Einsatz von Tieren in Versuchen nicht verhindern, sondern vielmehr die Art und Weise deregulieren, in der solche Versuche durchgeführt werden, so dass die betreffenden Tiere diesen noch stärker ausgesetzt wären. Zudem verschlechterten sich hierdurch die Aussichten für die Entwicklung von Alternativen.

….Eine vollständige Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU ist unerlässlich, um das Wohlergehen der Tiere, die heute noch eingesetzt werden, zu erhöhen. Die Kommission prüft genau die korrekte und vollständige Umsetzung der Richtlinie in einzelstaatliches Recht und leitet gegebenenfalls Vertragsverletzungsverfahren ein.“

Die Kommission zog folgende Schlussfolgerungen zur europäischen Bürgerinitiative „Stop Vivisection“:

„Die Kommission begrüßt die Mobilisierung der Bürger für den Tierschutz. Die Bürgerinitiative bietet die Gelegenheit, kritisch zu überprüfen, wie die EU ihre Anstrengungen noch forcieren kann, auf Tierversuche in der Forschung und in den Prüfmethoden zu verzichten.

Die Kommission unterstreicht, dass Tierversuche in Europa für den Gesundheitsschutz von Mensch und Tier sowie für den Schutz der Umwelt nach wie vor wichtig sind. Die Richtlinie 2010/63/EU ist auf EU-Ebene für den Schutz der noch benötigten Tiere unverzichtbar, wenngleich weiter an dem Ziel gearbeitet wird, letztlich ganz und gar auf Tierversuche zu verzichten.

….Gleichzeitig wirkt sich die Richtlinie 2010/63/EU auch beschleunigend auf die Entwicklung und Einführung alternativer Ansätze aus, was den Forderungen der Initiative entspricht.
Daher hat die Kommission nicht die Absicht, einen Vorschlag zur Außerkraftsetzung der Richtlinie 2010/63/EU vorzulegen und die Annahme neuer Rechtsvorschriften vorzuschlagen.“


In Ihrem Schreiben versicherten Sie, weiterhin die Entwicklung und Einführung alternativer Ansätze zu fördern, die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch zwischen allen Sektoren zu unterstützen, neue Methoden zu validieren und deren Zulassung zu erleichtern….

Unsere Fragen an die Kommission zu diesem Thema lauten:


1. Wie viele Alternativmethoden wurden seit der Verabschiedung der RL 2010/63 EU neu entwickelt, wie viele wurden validiert und wie viele kommen inzwischen auch zum Einsatz?

2. Wie viele tierexperimentelle Prüfverfahren wurden inzwischen durch Alternativmethoden ersetzt und auf welchen Gebieten?

3. Ist die Zahl der Tierversuche dadurch signifikant gesunken?

4. Warum wurde seit 2011 keine europäische Tierversuchsstatistik mehr veröffentlicht?


Weiter schrieb die Kommission in ihrem statement an „Stop Vivisection“ und an uns, sie würde auf EU-Ebene und international den Dialog mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft fortsetzen, um alternative Prüfmethoden zu ermitteln, und bis Ende 2016 eine Konferenz abhalten, die schnellere Fortschritte bei der Einstellung von Tierversuchen zum Thema haben wird.


Unsere Fragen an die Kommission zu diesem Punkt lauten:

5. Hat die von Ihnen angekündigte Konferenz gegen Ende 2016 stattgefunden, die schnellere Fortschritte bei der Einstellung von Tierversuchen zum Thema haben sollte?

6. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

7. Waren auch Vertreter der BI „Stop Vivisection“ dort anwesend und am Dialog beteiligt?

8. Wenn nein, warum nicht? Immerhin vertritt die BI „Stop Vivisection“ 1.173.131 EU Bürger.


Weiter schrieb die Kommission:

„Alle Mitgliedstaaten haben die Umsetzung in einzelstaatliches Recht vollständig abgeschlossen, jetzt liegt es an ihnen, die Bestimmungen auch durchzusetzen. 2017 soll die Wirksamkeit der Richtlinie überprüft werden.“

In dem Artikel „Tierversuche: „EU erhebt massive Vorwürfe gegen Deutschland“ berichtet die „Osnabrücker Zeitung“ dass die EU Kommission im Juli 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hat.
Deutschland müsse nun darauf nun eine Erwiderung schicken. Dem Vernehmen nach hätte die Bundesregierung bereits um eine Fristverlängerung bis Jahresende gebeten“.

Quelle: https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/1543577/tierversuche-eu-erhebt-massive-vorwuerfe-gegen-deutschland

Wir als Bürger, die sich seit Jahrzehnten für die Abschaffung aller Tierversuche einsetzen, fordern die Kommission auf, Deutschland und andere Mitgliedsstaaten, die sich der Vertragsverletzung schuldig gemacht haben, keinerlei Fristverlängerung zu gewähren.

Die Dreistigkeit, mit der die BRD EU Recht verletzt und absichtlich vertragliche Pflichten ignoriert, ist ein fatales Signal an die europäische Gemeinschaft. Die BRD ist eines der wenigen Länder, in denen der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist und sollte eine Vorreiterrolle übernehmen, um den Tierschutz in Europa zu gewährleisten.

Bereits im Jahr 2012, also schon vor der Änderung des Deutschen Tierschutzgesetzes (2013), belegte ein juristisches Expertengutachten, vorgelegt durch Prof. Dr. jur. Anne Peters zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der EU-Tierversuchsrichtlinie, LL.M., Ordinaria für Völker- und Staatsrecht an der Universität Basel, dass einige von Deutschland umgesetzte Vorschriften nicht der EU-Tierversuchsrichtlinie entsprechen und damit richtlinienwidrig sind und abgeändert werden müssen, wenn nicht ein Verstoß gegen das Unionsrecht in Kauf genommen werden soll.

Eine im Februar 2016 von Dr. Christoph Maisack vorgelegtes Gutachten, kommt ebenfalls zu der Einschätzung, dass tierschutzrelevante Verstöße bei der Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie in deutsches Recht vorliegen. Im Gutachten werden 18 eindeutige und tierschutzrelevante Verstöße aufgeführt.

Im März 2016 reichte der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ e.V. Beschwerde wegen Verstoßes Deutschlands gegen die Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU ein.

Folgende Punkte belegen die Vertragsverletzung der BRD:

Behörden in Deutschland haben keine Möglichkeit, eine unabhängige und unparteiische Schaden-Nutzen-Abwägung bei beantragten Tierversuchen vorzunehmen.

Durch den Gesetzgeber sind diesen Institutionen praktisch die Hände gebunden ihrer Garantenpflicht in Sachen Tierschutz vollumfänglich nachzukommen. Die Wissenschaftler selber beurteilen, ob die geplanten Tierversuche ethisch vertretbar sind.

Ein weiteres Beispiel für die mangelhafte Umsetzung der EU Richtlinie in Deutschland betrifft die Genehmigungspflicht in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, hier wurde die auch vorher übliche Anzeigepflicht beibehalten.

Das bedeutet, dass es keine Prüfung auf Unerlässlichkeit und keine ethische Bewertung durch die zuständigen Behörden und eine Tierschutzkommission gibt.

Nach Art.15 Abs.2 der Richtlinie 2010/63 EU müssen die Mitgliedstaaten grundsätzlich gewährleisten, „dass ein Verfahren nicht durchgeführt wird, wenn es starke Schmerzen, schwere Leiden oder schwere Ängste verursacht, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können“.

Zur Begründung heißt es in Erwägung 23: „Aus ethischer Sicht sollte es eine Obergrenze für Schmerzen, Leiden und Ängste geben, die in wissenschaftlichen Verfahren nicht überschritten werden darf. Hierzu sollte die Durchführung von Verfahren, die voraussichtlich länger andauernde und nicht zu lindernde starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste auslösen, untersagt werden.“
Leider hat die EU Kommission den Mitgliedsstaaten in Art. 55 Abs.3 Ausnahmen gestattet, wenn sie es aus wissenschaftlich berechtigten Gründen für erforderlich halten, die Verwendung eines Verfahrens zu genehmigen, das im Sinne von Artikel 15 Absatz 2 starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste verursacht, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können
Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des Art. 55 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie bedarf es für die Genehmigung eines schwerst belastenden Tierversuchs aber eines Grundes, bei dem der zu erwartende Nutzen so hoch ist, dass er auch die Zufügung schwerster Schmerzen, Leiden und Ängste rechtfertigt, und darüber hinaus des Vorliegens eines Ausnahmefalls.

Die erwähnte Ausnahme wurde durch den Wortlaut des novellierten Tierschutzgesetzes und der Tierschutz Versuchstier Verordnung (TschVersV) der BRD zur Regel zementiert, die auch Tierversuche der grausamsten Art, bei denen die Schmerzen weder gelindert, noch ausgeschaltet werden, zugelassen.

Auch die Auskünfte deutscher Behörden, dass diese Versuche zwar genehmigt, aber mit Abruchkriterien versehen werden, können nicht darüber hinwegtäuschen, welche Qualen Tiere bei toxikologischen Studien erleiden müssen, bei künstlich herbeigeführten Herzinfarkten am wachen Tier oder Infektionen, die oft mit bis zu 100% Sterberate einhergehen.
Hirnversuche an Affen, Katzen, Mäusen und anderen Tierarten. Bestrahlung mit Todesfolge, Tod durch Abstoßungsreaktion von Transplantaten, metastasierende Tumore, Knochenbrüche, Versagen mehrerer Organe, Xenotransplantationen, Anzüchten von mit schwerem Leid verbundenen genetischen Störungen, z.B. Huntington Krankheit und viele andere Versuche, die für die Tiere unermessliches Leiden bedeuten.

Die BI „Stop Vivisection“ hat bei ihrer Anhörung im Mai 2015 ausreichend dargelegt, dass die RL 2010/63 EU nicht geeignet ist, den Schutz von Tieren in wissenschaftlichen Verfahren zu garantieren, die Anzahl der verbrauchten Tiere signifikant zu senken oder ihre Leiden zu beenden.

Seitdem scheint die EU und die einzelnen Mitgliedsstaaten in dem erklärten Ziel Tierversuche abschaffen zu wollen, keinen Schritt voran gekommen zu sein.

Das liegt unseres Erachtens daran, dass die Kommission den Mitgliedstaaten, bzw. den Lobbyisten der Pharmaindustrie in ihren Forderungen nachgegeben hat und schwammige Vorschriften und Ausnahmegenehmigungen in die RL aufgenommen hat, die dazu geführt haben, dass im Grunde genommen alles beim Alten geblieben ist.

Im Jahr 2005 gab es zur geplanten Revision der RL 86/609/EEC eine repräsentative Studie der EU Kommission, an der 42 635 Personen aus 31 Nationen teilnahmen.

Die Auswertung wurde veröffentlicht „Results of questionnaire for the general public on the revision of Directive 86/609/EEC on the protection of animals used for experimental and other scientific purposes“ und ergab u.a.

Tierversuche sind weder in der Grundlagenforschung noch in den Bereichen Krankheits-/Umweltforschung, Medikamentenentwicklung, Chemikalientestung, Ausbildung und Informationstechnologie akzeptabel.
Der Großteil der Befragten bemängelte, dass die derzeitigen Tierschutzbestimmungen nicht ausreichen und auf politischer Ebene erheblicher Handlungsbedarf besteht. So meinten über 90 Prozent, dass die EU sowie die Regierung im eigenen Land für deutlich mehr Tierschutz sorgen sollten, insbesondere für Affen, Hunde und Katzen. Die überwiegende Mehrheit sprach sich sogar für einen verbesserten Schutz von Mäusen (87 Prozent), Hummern (83%) und Fruchtfliegen (60%) aus.

Wir fordern Sie deshalb auf, die RL 2010/63 EU unverzüglich zu novellieren, insbesondere ein generelles Verbot von Tierversuchen an nichtmenschlichen Primaten, an streunenden und verwilderten Haustieren und den Artikel 55 Abs. 3 ersatzlos zu streichen. Für schwerstbelastende Tierversuche darf es keine Ausnahmegenehmigung geben.

Mit freundlichen Grüßen

Gabriele Menzel

Gisela Urban






 

 

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